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Lingua Terii Imperii, das Buch, das Viktor Klemperer auch ausserhalb der Philologenkreise zu Anerkennung verholfen hat, ist keine wissenschaftliche Abhandlung über die linguistischen Charakteristikas der Sprache des Nationalsozialismus. Das Buch geht kaum über Anmerkungen zu sprachlichen Phänomenen hinaus, zeigt nur eine Richtung, die umgreifendes Kollektiv von Sprach, Poliik- und Sozialwissenschaftler einschlagen können , legt die Fundamente für eine akribische Studie der Rhetorik und Semiothik und ihrer Einflüsse auf die Gesellschaft dieser Zeit. Und trotzdem ist LTI kein Buch, das sich ausschliesslich mit der jüngsten Vergangeheit Deutschlands beschäftigt, sondern auf eine Kontinuität bis in das Heute verweist, auf die zeitlose soziale Bedeutung der Sprache und auf unterlassene Vergangenheitsbewältigung der elementarsten Aspekte unserer Gesellschaft. Dabei lassen sich die propagandistischen Einflüsse und ihre Effekte auf die Massen klar und – mit dem Abstand einiger Jahrzehnte – einfach definieren.
LTI ist auch das Tagebuch eines Menschen, der sich der Deutschen Sprache verschreiben hat, einem grossen Kenner der deutschen und romanischen Literatur, einem begabten und beliebten Professor, der die Schätze der Deutsche Sprache mit Hingabe vom Katheter herab vermittelt und in seiner Studierstube akribisch erorscht. Solange, bis ihm, dem Juden Kemperer, erst die Bibliothek, dann das Katheter, und bald alle Teilnahme am öffentlichen Leben verwehrt werden. Viktor Kemperer bleiben nur noch Aufmerksamkeit und die analytischen Fähigkeiten eines Wissenschaftlers. Er will die Sprache der Dritten Reiches aufnehemen und untersuchung, in der Hoffnung, bald eine endgültige Autopsie durchführen zu können, um den Boden nicht zu verlieren, sich an eine Normalität der Sprache festzuklammern, die der Verarmung durch Goebbels Propaganda gegeben hat, den scheinbar endlosen Zustand der Unterdrückung und Demütigungen nicht als “normal” zu akzeptieren. LTI wird, nachdem man ihm alles genommen hat, zu seinem Rettungsring, der ihn vor dem Untergang in der braunen Masse der Verdummung rettet. Denn – wie er erschrocken beobachtet – wird die LTI nicht nur von den Propaganda-Machern benutzt, sondern sich nach und nach auch in die Umgangssprache anderen Kreise schleicht, die seiner akademischen Kollegen, die der kommunistischen Arbeiter, die der jüdischen Mitbürger.
Was ist die Lingua Tertii Imperii? Es ist eine definierbare Sprache im im umfassenden Sinn von Wörtern, Sätzen und die Konnotationen und Annotationen, die beide hervorrufen, aber auch die Darstellungen, Symbolik und Symbole, Kundgebungen und öffentliche Inszenierungen.
Es ist keine frei erfundene Sprache. Viele Wörter gab es schon vorher, bekamen in der LTI nur eine andere Bedeutung oder eine andere Wertung. Viele stilistischen und Symbolischen Mittel wurden von dem italienischen Faschismus kopiert und weiterentwickelt, bis die Kopie das Original in dumpfer peitschender Schreierei übertraf.
Ein Beispiel für die Wertänderung eines Ausdrucks ist “aufziehen”. Was noch vor dem Dritten Reich – im nicht-mechanischen Sinn – zum Ausdruck brachte, dass ein “gross aufgezogeges Ereigniss” mit spektakulärem Rahmen dafür sorgt, dass ein armer und sinnleerer Inhalt überdeckt wird, entwickelt sich zu einer positiven Handlung des Regimes für das Volk: Parteitage, Vereine, Mannschaften, Musikvereine, Kundgebungen, Konzerte, Reden werden – positif - gross aufgezogen. Auch der technisch Ursprung des Begriffs ist nicht zufällig. Die LTI verwendet oft Bezeichnungen der Mechanik, wenn sie sich auf die Massen bezieht. (Wir müssen die Wirtschaft “ankurbeln”) und pathetische, sakrale Begriffe und Ausdrucksweisen, wenn es um die Partei geht (“die Offenbahrungen des Führers”, “der Führer spricht zur dreizehnten Stunde”, denn oftmals waren die zahllosen Gedenk- und Schweigeminuten und die Ansprachen Hitlers auf diese Uhrzeit gelegt, diese Stunde die es eigentlich nicht gibt, wenn alles schon zu spät ist, und nur einer, der Erlöser noch Wunder wirken kann.)
Viktor Kemperere führt einige Beispiele des Wertwandels auf (pejorative Wörter die sich ins positive ändern oder umgekehrt). Viele mehr können in der Literatur dieser Zeit gefunden werden. Von den Schriften des Propgandaministeriums über die Schreibereien gleichgeschlateter Autoren bis zu den Werken der Regimegegner. (Die langsame Verbreitung und Auswirkung der LTI ist auch in den Gemheimen Deutschlandberichten der Sopade von 1934 bis 1940 anschaulich nachzuvollziehen).
In der Sprache gibt es nur selten ein Zurück – das zeigen auch die fehlgeschlagenen, jüngste Versuche Frankreichs, die Veränderung der Sprache zu beinflussen und einige Auswüchse im Namen eines neuen Nationalismus rückggängig zu machen. So werden noch heute Veranstaltungen “aufgezogen”, und die Wirtschaft “angekurbelt”, Ereignisse “ausgeschlachtet” und Möglichkeiten “ausgeschöpft”.
Vor vielen Jahrhunderten antwortete ein Philosoph auf die Frage, was er ändern würde, wenn er die Regierungsmacht hätte: die Sprache. Denn “wenn die Namen der Dinge falsch sind, dann klingt die Sprache nicht vernünftig. Und wenn die Sprache nicht vernünftig klingt, dann werden die Sachen nich richtig gemacht. Und wenn die Sachen nicht richtig gemacht werden, dann nimmt die Gesellschaft Schaden.”
Wir sollten uns öfters an diese Sätze Konfuzius erinnern und der Sprache den Wert geben, den sie in unserer Gesellschaft hat: Sie ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel für die Massen und ein Spielzeug für Akademiker. Sprache ist ein soziales und politisches Instrument, das, bewusst oder unbewusst gebraucht, sehr grossen Einfluss auf unser Leben und unsere Geschichte nehem kann.
