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Victor Klemperer: Lingua Tertii Imperii (LTI)


















LTI bei Amazon.de

Lingua Terii Imperii, das Buch, das Viktor Klemperer auch ausserhalb der Philologenkreise zu Anerkennung verholfen hat, ist keine wissenschaftliche Abhandlung über die linguistischen Charakteristikas der Sprache des Nationalsozialismus. Das Buch geht kaum über Anmerkungen zu sprachlichen Phänomenen hinaus, zeigt nur eine Richtung, die umgreifendes Kollektiv von Sprach, Poliik- und Sozialwissenschaftler einschlagen können , legt die Fundamente für eine akribische Studie der Rhetorik und Semiothik und ihrer Einflüsse auf die Gesellschaft dieser Zeit. Und trotzdem ist LTI kein Buch, das sich ausschliesslich mit der jüngsten Vergangeheit Deutschlands beschäftigt, sondern auf eine Kontinuität bis in das Heute verweist, auf die zeitlose soziale Bedeutung der Sprache und auf unterlassene Vergangenheitsbewältigung der elementarsten Aspekte unserer Gesellschaft. Dabei lassen sich die propagandistischen Einflüsse und ihre Effekte auf die Massen klar und – mit dem Abstand einiger Jahrzehnte – einfach definieren.

LTI ist auch das Tagebuch eines Menschen, der sich der Deutschen Sprache verschreiben hat, einem grossen Kenner der deutschen und romanischen Literatur, einem begabten und beliebten Professor, der die Schätze der Deutsche Sprache mit Hingabe vom Katheter herab vermittelt und in seiner Studierstube akribisch erorscht. Solange, bis ihm, dem Juden Kemperer, erst die Bibliothek, dann das Katheter, und bald alle Teilnahme am öffentlichen Leben verwehrt werden. Viktor Kemperer bleiben nur noch Aufmerksamkeit und die analytischen Fähigkeiten eines Wissenschaftlers. Er will die Sprache der Dritten Reiches aufnehemen und untersuchung, in der Hoffnung, bald eine endgültige Autopsie durchführen zu können, um den Boden nicht zu verlieren, sich an eine Normalität der Sprache festzuklammern, die der Verarmung durch Goebbels Propaganda gegeben hat, den scheinbar endlosen Zustand der Unterdrückung und Demütigungen nicht als “normal” zu akzeptieren. LTI wird, nachdem man ihm alles genommen hat, zu seinem Rettungsring, der ihn vor dem Untergang in der braunen Masse der Verdummung rettet. Denn – wie er erschrocken beobachtet – wird die LTI nicht nur von den Propaganda-Machern benutzt, sondern sich nach und nach auch in die Umgangssprache anderen Kreise schleicht, die seiner akademischen Kollegen, die der kommunistischen Arbeiter, die der jüdischen Mitbürger.

Was ist die Lingua Tertii Imperii? Es ist eine definierbare Sprache im im umfassenden Sinn von Wörtern, Sätzen und die Konnotationen und Annotationen, die beide hervorrufen, aber auch die Darstellungen, Symbolik und Symbole, Kundgebungen und öffentliche Inszenierungen.

Es ist keine frei erfundene Sprache. Viele Wörter gab es schon vorher, bekamen in der LTI nur eine andere Bedeutung oder eine andere Wertung. Viele stilistischen und Symbolischen Mittel wurden von dem italienischen Faschismus kopiert und weiterentwickelt, bis die Kopie das Original in dumpfer peitschender Schreierei übertraf.

Ein Beispiel für die Wertänderung eines Ausdrucks ist “aufziehen”. Was noch vor dem Dritten Reich – im nicht-mechanischen Sinn – zum Ausdruck brachte, dass ein “gross aufgezogeges Ereigniss” mit spektakulärem Rahmen dafür sorgt, dass ein armer und sinnleerer Inhalt überdeckt wird, entwickelt sich zu einer positiven Handlung des Regimes für das Volk: Parteitage, Vereine, Mannschaften, Musikvereine, Kundgebungen, Konzerte, Reden werden – positif - gross aufgezogen. Auch der technisch Ursprung des Begriffs ist nicht zufällig. Die LTI verwendet oft Bezeichnungen der Mechanik, wenn sie sich auf die Massen bezieht. (Wir müssen die Wirtschaft “ankurbeln”) und pathetische, sakrale Begriffe und Ausdrucksweisen, wenn es um die Partei geht (“die Offenbahrungen des Führers”, “der Führer spricht zur dreizehnten Stunde”, denn oftmals waren die zahllosen Gedenk- und Schweigeminuten und die Ansprachen Hitlers auf diese Uhrzeit gelegt, diese Stunde die es eigentlich nicht gibt, wenn alles schon zu spät ist, und nur einer, der Erlöser noch Wunder wirken kann.)

Viktor Kemperere führt einige Beispiele des Wertwandels auf (pejorative Wörter die sich ins positive ändern oder umgekehrt). Viele mehr können in der Literatur dieser Zeit gefunden werden. Von den Schriften des Propgandaministeriums über die Schreibereien gleichgeschlateter Autoren bis zu den Werken der Regimegegner. (Die langsame Verbreitung und Auswirkung der LTI ist auch in den Gemheimen Deutschlandberichten der Sopade von 1934 bis 1940 anschaulich nachzuvollziehen).


In der Sprache gibt es nur selten ein Zurück – das zeigen auch die fehlgeschlagenen, jüngste Versuche Frankreichs, die Veränderung der Sprache zu beinflussen und einige Auswüchse im Namen eines neuen Nationalismus rückggängig zu machen. So werden noch heute Veranstaltungen “aufgezogen”, und die Wirtschaft “angekurbelt”, Ereignisse “ausgeschlachtet” und Möglichkeiten “ausgeschöpft”.

Vor vielen Jahrhunderten antwortete ein Philosoph auf die Frage, was er ändern würde, wenn er die Regierungsmacht hätte: die Sprache. Denn “wenn die Namen der Dinge falsch sind, dann klingt die Sprache nicht vernünftig. Und wenn die Sprache nicht vernünftig klingt, dann werden die Sachen nich richtig gemacht. Und wenn die Sachen nicht richtig gemacht werden, dann nimmt die Gesellschaft Schaden.”

Wir sollten uns öfters an diese Sätze Konfuzius erinnern und der Sprache den Wert geben, den sie in unserer Gesellschaft hat: Sie ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel für die Massen und ein Spielzeug für Akademiker. Sprache ist ein soziales und politisches Instrument, das, bewusst oder unbewusst gebraucht, sehr grossen Einfluss auf unser Leben und unsere Geschichte nehem kann.













Kategorisierung der Wörter der LTI -teilweise nach "Inventur" der Universität Birmingham

Abendländisch
abgefallene Völker [K]
abgewandert (worden) [K]
abriegeln
Absatzbewegung [K]
Aktion
Altreich
anfällig
angeben/Angabe
anzetteln [T]
Arbeitseinsatz
Art
arteigen
auffällig
auffangen [T]
Auffangstelle [T]
aufgezogen [T] [M]
aufgezogen + groß [T] [M]
Auflockerung [T]
aufspalten [T]
aufziehen [T] [M]
Auslandshörer [K]
Ausrichtung
ausrotten
Ausrottung
ausschlachten [T]
ausschöpfen [T]
Ballung
Bande
Baugesinnung
Belastung
Berufsumschichtung [K]
Bestallung
Blitzkrieg [K]
blond
Blut
Blut, das blonde
Blutrausch
Bombenterror [K]
brutal
Bunker
charakterlich
Clique
Das sah aus wie Gestapo
Defätismus
defätistisch
der Jude
deutsch
deutsche Frau - wehrwillige
Deutschland, das ewige
dienstentpflichtet [K]
diskriminieren
Ehre
Ehrgeizling
einmalig
Einsatz
einsetzen
eisernes Geschlecht [K]
EK
elastische Front [K]
Endspurt
Engpaß [T]
Erbgesundheit [K]
erdgebunden
Erfolge, entscheidende
Erlebnis
Ertüchtigung [K]
erzogen, politisch
europäisch
fanatisch [M]
fanatisiert [M]
Fanatismus [M]
Feindlüge
Flüsterpropaganda [K]
Fraueneinsatz [K]
Freistellung [K]
Frontstadt
Garant
Gefolgschaft
Gegenrasse [K]
Gemeinschaft, verschworene
Genickschuß [K]
geradestehen [T]
Germantik-er
geschichtlich [M]
Gesetz des Handelns
greuelt
Groß-
hart
Hauptschule [K]
Heckenschütze [K]
Heiligkeit
Heldentat
heroisch
historisch [M]
Horde
Innerasien
Jesuiten
Jude Rathenau, der
Judenrasse
jüdischer Vernichtungswille
KdF
kochende Volksseele [T]
Kohlenklau [K]
krank schreiben
Kriegsmord
Kriegspotential
Kriegsverbrecher
kriegswichtig
Krise
Landekopf [K]
lebensfroh
letzte Runde
liberalistisch
Liebe
liquidieren
LSR (Luftschutzraum)
Luftgangster [K]
Luftterror [K]
Machtübernahme
Männerbund
meckern
mein
Menschheit
Minenklau [K]
mitleidlos
Modell
Niederlage
niedermachen [T]
offizielle Heeressprache
Päckchen
Panzerspitzen [K]
Pappi
Papst
perverse Koalition
Pg
Polizeimeister
populärst
Probe
Rasse
rassisch
Raum
raumfremd [K]
revolutionär
Richtmänner
Rückläuftigkeiten [K]
Rundfunk ins Theater
Saugpumpe
Schädling
schlagartig
Schneckentempo [T] [K]
schöngeistig [K] [P]
Schwund
Sicherstellungen
Sigrunen
Sofortmaßnahme [K]
sogenannt
sonnig
Sonntagseinsatz [K]
Sprechchor
Staatsfeind
stolze Trauer
strengwissenschaftlich [K] [M – zum nicht-arischen “wissenschaftlich”]
Substanzverluste [T] [K]
Sünde wider das Blut
tarnen
Terrorangriff
Terrorist
Todfeind
total
totaler Krieg [K]
totalisieren [K]
Totalitätsanspruch
tragisch
Trecks
tuen
typenbildend [K]
umlegen
umsiedeln
unbändig
unerwünscht
unfaßbar
unter Beweis stellen
Usurpator
V1 (Versager 1) [K]
V1, V2 [K]
Verbissenheit
Vergeltung
verklärt
Vermassung [T] [K]
Vertrauensarzt [K]
Volksgenosse [K]
Volksgerichtshof [K]
Volkshörer [K]
Volksrasse [K]
Volksschädlingsbekämpfer [K]
Volkssturm [K]
Volkstumsarbeit [K]
Volljude [K]
Vollzug der Gesinnung bewähren
Vorsehung
Wall
Wehrkraftzersetzung [K]
Wehrmachtsgefolge [K]
Weiterungen
wenigstens
Wesensmitte [K]
wuchshaft
zahllos
Zelle [T]
Zuwachs
Zwangsglaubenssatz [K]

[T] Transponierte Werte [P] Pejorativ [M] Melioration [K] Neue Kombinationen

Wertänderung der Begriffe: Faschismus

Anschaulich kann dieser Wandel in verschiednenen Auflagen des Duden nachgeprüft werden. Zum Beispiel anhand des Wortes Faschismus:
1929: rücksichtsloser Nationalismus in Italien
1934: schärfste nationale Erneuerungsbewegung in Italien
1941: die von Mussolini begründete italienische nationalstaatliche Bewegung

Klemperer beschreibt in LTI auch was Gymnasiasten kurz nach dem Krieg über das Wort Faschismus wussten (Auf die Frage “Was bedeutet Faschismus” antworteten die Schüler “Her mit der Fackel”....). Nur wenige kannten die etymologische Bedeutung des Wortes (ital. Facio und lat. Fasces für Bündel oder Bund in Anlehnung an das Rutenbündel, das die römischen Imperatores, Konsulen und Statthalter als Zeichen ihrer Macht trugen). Auch das ist ein chararakteristisches Merkmal der LTI: Die verschleierung der Zusammenhänge und Herkunft der Begriffe.

Gades




Als wir zum ersten mal nach Cádiz fuhren, am Anfang der des verregneten Winters, irgendwann im Dezember 1995, wussten wir nicht genau was uns erwarten würde. Wir wussten nicht das Cádiz wahrscheinlichdie älteste Stadt des Okzidents war. Wir wussten nicht, dass Cádiz über viele Jahrhunderte hinweg ein wichtiges kulturelles Zentrum nicht nur Andalusiens, sondern auch Spaniens und zeitweise sogar Europas war. Wir wussten, dass Cádiz die Hauptstadt der Provinz war und irgendwo, 40 km nórdlich von Vejer zu finden sei. Wir wussten auch, das es dort ca. 300.000 Einwohner gab und, das hofften wir, einen etwas grösseren Supermarkt, als unser Gemischtwarenhandel in Vejer de la Frontera mit möglicherweise etwas grösserer Auswahl an Nahrungsmittel geben wird. Das war der einzige Beweggrund, nach Cádiz zu fahren. Die Kultur des Landes interresierte uns noch reichlich wenig. Wir hatten mit dem neuen täglichen Leben in Vejer schon viel genug zu tun.

Wir fuhren mit unserem kleinen roten Auto über die RN340 nach Norden, vorbei an den grossen Tio Pepe Reklameschildern, zahlreichen kleinen Ventas, also Gaststätten am Rande der Strasse die früher mal Pferderelais waren und dann fester Bestandteil des ländlichen kulturellen Lebens wurden, an, von Kakteenzäunen eingegrenzten Feldern und riesigen Schlaglöchern in denen sich das Wasser der letzten Regenwochen sammelte.



El Colorado und der Überlebende der Schlacht von Trafalgar


ein kleines Dorf das aussieht als sei es die Dekoration eines billigen Westerns gewesen. Häuser, Ventas, kleine Keramikwaren-Geschäfte, eine Bank, ein Mechaniker der vor nicht allzulanger Zeit – noch gut sichtbar – eine Schmiede war, sonst gibt es keine weiteren Strassen, Gassen oder Wege, keine Kreuzungen oder Ampeln, nur die Landstrasse un an den staubigen Rändern, staubige kleine Gebäude, Ställe und eingegrenzte Waiden mit gelangweilten Kühen. Und schnellen Kindern. An der Ortseinfahrt stand ein Verkehrsschild mit der Aufschrift: “Achtung: 80 km/h. Kinder überqueren die Strasse.”

Erst viel später, als wir versuchten mit einem der Keramikläden ein Export-Geschäft zu machen und einige Leute in El Colorado besser kennenlernten, erfuhren wir, dass dieser Ort früher nur ein Pferderelais war, ein Stall, eine Venta und die Schmiede, und dass sich nach und nach die anderen Geschäfte und Häuser angesiedelt haben. Eines Tages, im Jahre 1805, fuhr der Wirt der Venta um Fisch zu kaufen zum Cabo el Roche, einer zerklüfteten Steilküste mit kleinen, schwer zu erreichenden Buchten und versteckten Höhlen, die einst den maurischen Piraten als Unterschlupf dienten. Er wartete auf seinen Schwager, dem Fischer. Am Süden, über dem Meer hingen sah man noch einige Rauchwolken von der Schlacht, diesem grossen Gemetzel, diesem unaufhörlichen Kanonendonner, das die Bewohner von El Colorado vor zwei Tagen keine Ruhe liess. Aber niemand traute sich an den Strand um sich das graue Spektakel anzusehen. Nachrichten kamen von zahlreichen Boten und Spionen, die in der Venta halt machten. Das Geschäft lief gut. Der Wirt verköstigte alle. Die Spanier und die verkleideten Engländer, die hier bei einigen Flaschen Vino Fino die Neuigkeiten der Flotten, der Feldherren und der Schlacht erzählten. Und das ganze Dorf trank mit und hörte zu. Jeder erzählte vom teuflischen Admiral Nelson. Die spanischen Boten mit Respekt, die feindlichen Spione mit Spott. Daran waren sie leicht zu erkennen. Die Nachricht, dass Admiral Villeneuve, der Kommandant der siegreichen Französisch-Spanischen Armanda geschlagen wurde erreichte die kleine Gemeine in der Venta erst am Morgen nach der Schlacht, als die letzten Kannonendonner schon lange erloschen sind. Der Wirt der Venta dachte nicht an Engländer, Franzosen oder Spanier, er dachte nur an die vielen lebslosen Körper, die jetzt im Meer treiben und langsam für immer auf den Grund sinken, an die Mütter, Frauen und Kinder, die zurückbleiben werden. Dachte an seinen Vater, der auch nicht zurückkam nachdem ihm die Soldaten des Grafen von Medina ihm in seiner Venta einen verrosteten Säbel schenkten, bevor sie ihn betrunken mitgenommen haben.

Sein Schwager ruderte langsam heran. Er hatte keine Fische dabei. Auf dem Boden seines kleinen Bootes lag, zusammengekauert unter einer Decke, ein verängstigter, nackter Mann, der in einer seltsamen Sprache, die wohl englisch sein musste, weil es nichts mit dem französisch der Militärs, die in seiner Venta halt machten, zu tun hatte, immer die grleichen Sätze wiederholten. Er musste schlimm zugerichtet worden sein, der ganze Kopf war blutig, die Haare rot durchtränkt. Sie nahmen ihn auf dem Eselskarren mit in die Venta, gaben ihm Wasser und Wein, badeten ihn, untersuchten ihn. Aber er hatte keine sichtbaren Wunden. Vorsichtig wuschen sie ihm die Haare, aber er schrie nicht auf vor Schmerz. Als er sich abtrocknete, anzog und still auf dem Bett lag, sah der Wirt und sein Schwager, dass seine Haare nicht blutig waren. Sie waren rot. Das haben sie noch nie gesehen. Feuerrote Haare. Der seltsame Gast blieb in der Venta. Half fleissig bei den täglichen Arbeiten mit, wurde bald zu einem Freund, dann fast Mitglied der Familie, und dann, nachdem sich die Tochter des Wirts in den Fremdling verliebt hatte, wirkliches Mitglied der Familie. Die Leute kamen, um ihn zu sehen und von ihm die Geschichte seines Landes zu hören, einer kleinen Insel namens Irland, die westlich von England gelegen, Teil des grossen Britischen Empires war. Man mochte den Rothaarigen, den “El Colorado” (colorado bedeutet rötlich gefärbt). Einige Jahre später vermachte ihm der Wirt seine Venta, die ab jetzt “El Colorado” genannt wurde, und heute, fast 100 Jahre nach der Schlacht von Trafalgar, findet man in El Colorado die grösse Ansammlung rothaariger Andalusier auf der iberischen Halbinsel.



San Fernando: Die Löweninsel


Der zweite Ort, schon kurz vor der Einfahrt zu Cádiz und inzwischen schon fast übergangslos mit der Provinzhauptstadt verwachsen, wurde, als er noch auf einem Felsen im Atlantik lag, die “Löweninsel” genannt. Inzwischen ist der Ort auf dem Festland, wenn man die umgebenden Sumpfgebiete, die in Salinas, also Salzfelder, umgewandelt wurden, so nennen kann. Hier wollte langezeit niemand leben. Erst ein Militärlager (und noch heute gibt es in San Fernando grosse Kasernenanlagen der spanischen Armee) und dann die armen Tagelöhner der Salzfelder machten diesen unwirtlichen Ort zu einer Stadt. Die strategische Lage ist klar erkennbar. Dieser Ort ist das Tor zu Cádiz, der Brückenstein zu dem schmalen Streifen sandigen Boden, das die Halbinsel Cádiz mit dem Festland verbindet. Hier hatte Napoleon sein Lager aufgeschlagen und verzweifelt versucht die eingeschlossene Stadt Cádiz zu erobern. Ganz Spanien war in Hand der Franzosen, nur die Gaditanos, wie sich de Bewohner von Cádiz nennen, widerstanden erfolgreich allen Angriffen der Eroberer, widersetzten sich der Belagerungspolitik und feierten weiterhin noch einige Jahre lang im Februar den berühmten Karneval während sich die Kaiserlichen Truppen einige Steinwürfe weit die Haare rauften. Mehr noch – grosser Hohn der kleinen Geschichte: 1812 wurde im belagerten Cádiz von den Cortes, den Abgeordneten, die erste liberal-demokratische Verfassung verabschiedet. Sie war nur wenige Wochen gültig. Hatte aber grosse Auswirkungen auf das politische Leben der Provinz.


Arnold Zweig: Erziehung vor Verdun



Arnold Zweig verarbeitet in Erziehung vor Verdun teilweise seine eigenen Erfahrungen. Wie wird ein intellektueller, kreativ denkender Mensch durch die sinnlosen Grausamkeiten eines Krieges sowohl körperlich als geistig zu verkommen droht.

Seih Held, Wernder Bertin, ein jüdischer Schriftsteller, der sich bisher kaum ausserhalb des universitären Millieus Berlins bewegt hat und so vom Leben weit weniger weis als von den grossen Dichtern des 18. und 19. Jahrhunderts findet sich in den Schützengräben vor Versailles wieder und wird gezwungen seine philosophische Bildung gegen abstumpfung und brutale Gewalt einzutauschen. Am Anfang – noch von der patriotischen Kriegspropaganda beeinflusst – gibt sich Bertin Mühe die ungewohnte harte körperliche Arbeit ordnungsgemäss zu erfüllen. Er hat auch keine Schwierigkeiten, sich in das unterste Soldatenmillieu zu integrieren. Erst als er sich aus besten Vorsätzen heraus hervortut und sich mit seinen Jurakenntnissen in einen Privatkrieg zweier Offizieren einmischt bekommt er schmerzlich zu erfahren, dass die grosse Tugend der Soldaten ist, nicht aufzufallen.

Bertin muss nun an zwei Fronten Kämpfen: Die innere, an der sein patriotisches Gefühl in Frage gestellt wird und an der seine Ehren-Kriegs-Helden-Illusion fällt und die äussere zu einem Feind hin, der moralisch gleichwertig wird, je mehr die eigene Überzeugung schwindet.

1917 wird Bertin an die etwas ruhigere Ostfront versetzt. Nach Ende des Krieges lebt er in Nürnberg. Aber der Krieg verfolgt ihn weiter. Seine Gedanken verteidigen die Wiesen und Wälder der Sonntäglichen Spaziergänge mit seiner Frau gegen einfallende Truppen und graben Löcher für Flaggeschütze.

Arnold Zweig schrieb dieses Buch 1933 in Palästina. Veröffentlicht wurde es 1935 in Amsterdam.











John Griesemer: Rausch

1857. Das erste Transatlantikkabel soll die moderne Kommunikation zwischen den Kontinenten einleiten, doch alle Versuche scheitern. Rausch, ist ein Roman um die Lebensgeschichte des begabten amerikanischen Ingenieurs Chester Ludlow und seinem Kampf gegen die Elemente, dem atlantischen Ozean, den physikalischen Eingenschaften tausender Meilen schwerer Kupferdrähte und dem Kampf gegen seine eigene, vom tragischen Tod seiner Tochter und einer unglücklichen Ehe bestimmten Vergangenheit.

Die Welt liegt in den Geburtswehen der Moderne. Das grösste Schiff aller Zeiten weigert sich vom Stapel zu laufen, alle Versuche die längste Kommunikationsverbindung der der Welt zu legen scheitern an dem Widerstand der Natur und Physik, alles scheint möglich und erreichbar aber trotzdem gibt es immer wieder Rückschläge. Rückschläge die allen Beteiligten nur noch mehr Mut und Motivation geben, an diesen Phantastischen Unternehmen weiterzuarbeiten.

So kommt es, dass Chester Ludlow ausser seiner Tätigkeit als Ingenieur auch als Schausteller durch die englischen Clubs zieht um Investoren für immer grössere Schiffe und immer bessere Kabel zu finden, nebenbei neue mechanismen für das komplizierte Abrollen der Kabel auf hoher See erfindet, sich mit zweifelhaften Kollegen verbündet und gespannt die Berichte seines Bruders verfolgt, der in einem Projekt der Konkurenz ein Kabel über Sibiren legen will.

Aber nicht nur Chesters technische Welt ist verworren. Er selbst fährt in einem sehr unsicheren Schiff durch die Stürme seines Lebens. Die Verarbeitung des Todes seiner Tochter, die Trennung von seiner Frau, die Beziehung zu seinem Bruder, seinen Kollegen und Freunden sind nicht minder kompliziert als die Mechanismen die er erfindet. Schon das könnte ein Roman für sich sein. Aber Griesemer verflechtet diese Geschichten mit den Schicksalen von Chesters Frau und ihrer Karriere als Medium zur Welt der Toten, seiner Geliebten, einem Illustrator der Kabelexpeditionen, einer Prostituierten. Er versucht gleichzeitig einen historischen Roman zu schreiben, einen Abenteuerroman, ein Sittenbild des 19. Jahrhunderts, einen Liebesroman und ansatzweise sogar eine philosophische Abhandlung über physikalische und übersinnliche Kommunikation.


Diese Vielfalt an Geschichten macht das Lesen nicht immer einfach und nimmt etwas von der Spannung, die in der Rahmengeschichte sicherlich vorhanden ist.






Umberto Eco: Baudolino



Baudolino ist ein Lügner der Geschichte macht. Und als ein notorischer Lügner, der per Definition die Wahrheit sagt wenn er behauptet, Lügen zu erzählen, ist Baudolino ein interessanter Gesprächspartner für den rationalen und wahrheitsliebenden byzantinischen Chronist Niketas Choniates.

Konstantinopel im Jahre 1204. Die Kreuzritter verwüsten und plündern die Stadt. Schon glaubt sich Niketas dem sicheren Tode geweiht, da erscheint Baudolino und rettet ihn vor den Schwertern der Angreifer.

Das ist der Anfang eines Dialoges zwischen Nikoletas und Baudolino, der Anfang der unglaublichen Lebenseschichte des Lügners Baudolino, der gerade durch seine Lügen und Finten Einfluss auf die historischen Ereignisse des 12. Jahrhunderts hatte.

Baudolino, Sohn eines Bauern, wächst (wie Umberto Eco) in dem Norditalienischen Dorf Alessandria auf. Baudolino lernt früh lesen und schreiben und entdeckt (wie Umberto Eco) seine Begabung für Sprachen und (wie Umberto Eco) seine blühende Phantasie. Der aussergewöhnliche Bauernjunge begegnet zufälligerweise dem Kaiser Friedrich I genannt Barbarossa. Phasziniert von den Talenten des Jungen, die Baudolino gleich mit seiner ersten grossen Lüge unter Beweis stellt, nimmt er Baudolino als Adoptivsohn mit an seinen Hof. Angeregt durch die intelektuelle Atmosphäre in Friedrichs Umgebung und, später, in den Parriser Universitäten, wird Baudolinos zügellose Phantasie durch Legenden des Mittelalters inspiriert, die er geschickt im Sinne seines Adoptiv-Vaters einsetzt und ihn damit das ein oder andere mal aus militärischen und politischen Misslagen befreit. So geht nicht nur der Fund der Körper der drei heiligen Könige, die wundersame Rettung der Stadt Alessandria durch den Heiligen St. Georg, die Unabhängigkeit der Doktoren der Universität Bolonia, und die Entdeckung des Heiligen Grals auf sein Vorstellungsvermögen und seine List zurück, sondern sogar die beihnahe-Entdeckung Utopias, eines legendären Königreichs im Orient das von dem Priesterkönig Johannes regiert wird. Ausser einer ausschweifenden Beschreibung der fremdartigen Gestalten (Zyklopen, Hyptias, ...), Städten und Tieren, erfährt Niketas dabei die wahre Ursache des Todes von Kaiser Barbarossa.

Ecos Talent das Phantastische realistisch zu beschreiben macht diesen Roman zu einem kritischen und humorvollen Meisterwerk.

Wie Niketas sich nach dem Ende Baudolinos Geschichte an seiner Verantwortung als Chronograf zweifelt, die Lügen niederzuschreiben oder einfach zu vergessen, fragt sich der Leser wie es denn um den Wahrheitsgehalt in der Geschichte bestimmt ist. Aber vielleicht sind es ja gerade die guten Baudolinos unserer Historie, die uns den Weg zu einer blühenderen Zukunft ebnen.








Franz Kafka: Die Verwandlung


Die Verwandlung, ein Werk das untrennbar mit der Person Kafka verbunden ist, ist eine surreale Erzählung über Grausamkeiten und Ausgrenzungen in der Gesellschaft und der Familie, aber auch über Wege darüber hinwegzukommen und die metaphorisch beschriebenen Psychosen zu überleben.

Gregor Samsa, ein reisender Verkäufer findet sich „in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“. In seiner neuen Erscheinung erschreckt er alle Personen mit denen er vorher als angesehener Geschäftsmann und Familienmitglied in geregeltem gesellschaftlichen Kontakt stand.

Nur seine Schwester versorgt ihn mitleidvoll mit wie ein Tier Nahrung. Gregor versucht trotz seines Zustands ein gewisses Mass an Normalität beizubehalten, aber seine Umwelt behandelt ihn mehr und mehr wie ein Ungeziefer, räumen sein Zimmer leer, hängen seine Bilder ab, nehmen ihm alles Menschliche was ihn noch umgab. Gleichzeitig verliert er jedes Vertrauen und jede Zuneigung. Sein Vater bewirft Gregor mit Äpfeln als er fälschlicherweise glaubt Gregor greiffe seine Mutter an. Einer dieser Äpfel bleibt in seinem Rücken stecken und führt nach einer schmerzhaften Nacht zu Gregors Tod, der von der ganzen Familie erleichtert aufgenommen wird.

Nachddem die bestialische Leiche beseitigt ist unternimmt die Familie einen Ausflug in die Stadt um Zukunftspläne zu besprechen, die jetzt wieder möglich werden.

Zahlreiche Symbole unterstreichen die Handlung der Erzählung. Das Zimmer Gregors ist der Mittelpunkt des Hauses (alle Zimmer führen zu Gregors Zimmer); Jeder Person ist eine Tür zugeordnet (3 Türen, 3 Personen); Das Fenster seines Zimmers symbolisiert die Aussenwelt; ein Bild einer Dame mit Pelzhut die ein erotisches Erlebnis Gregors; die Sonne am Ende der Geschichte unterstreicht die Zukunftsplanungen der Geschichte nach dem 'positiven' Ereignis des Todes Gregors.

Glaubt man Max Brod's Kafka Biographie, dann ist 'die Verwandlung' auch die Geschichte des jungen Kafka, der sich als Schriftsteller als Parasit und Ausgestossener der Gesellschaft und seiner Familie fühlt. Das Leben eines genialen Schriftstellers.







Leon Uri: Topaz


Leon Uri, bekannt durch den 1958 erschienenen Bestseller "Exodus" beschreibt in diesem - nicht ganz frei erfundenen - Spionageroman einige der Schlüsselmomente des kalten Krieges. Dabei werden - wie in allen seinen Werken - die individuellen Schicksale der Protagonisten im politischen Zusammenhang der Weltgeschichte hervorgehoben.

André Devereaux, ein patriotischer französischer Geheimdienstmitarbeiter hat die Aufgabe in den USA die Spionage-Aktivitäten der beiden Länder zu koordinieren. Ein KGB Agent, der in den USA Schutz sucht, liefert Devereaux hinweise auf die Aktivitäten und Verstrickungen des sowjetischen Geheimdiensts in Frankreich. Parallel dazu wird Devereaux von den Amerikanern nach Kuba geschickt um dort Augenzeuge der Stationierung sowjetischer Atomrakten zu sein.Vor dem spannend Hintergrund der historischen Ereignisse, die politisch- und sozial brisante Lage in General de Gaules Frankreich und der Kubakrise, die die Welt bis kurz vor einen Weltkrieg führte, werden aber in "Topaz" die persönlichen Konflike der Hauptdarsteller nicht vergessen: Die Trennung Devereaux von seiner Frau, die Ermordung seiner kubanischen Geliebten, die Entführung des regierungskritischen Freundes seiner Tochter und der Verrat durch die Jugendfreunde Andrés haben keine mindere dramatische Bedeutung.

Das Buch endet mit einer Drohung Devereaux an Charles de Gaule: Ein amerikanischer Schriftsteller wird ein Buch schreiben und die ganze Geschichte erzählen.Und wirklich findet man in einem Artikel der "Times" vom 21. Februar 1972, daß Philipe de Vosjoli, ehemaliger Chef des französischen Geheimdienst in den USA eine Gerichtsverhandlung wegen Vertragsbruch gegen Leon Uri gewonnen hat und ab jetzt 50% des Erlöses von "Topaz" beanspruchen darf...